Ein grundsolides Bike mit vielen Tugenden: Hondas neuer Tourengänger NT1100.
Ein grundsolides Bike mit vielen Tugenden: Hondas neuer Tourengänger NT1100. (© Honda)
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Test Honda NT1100: Schöne, neue Tourerwelt
20.07.2022

Honda fügt mit der NT1100 seiner weit zurückreichenden Historie im Tourer-Kosmos ein neues Kapitel hinzu. Im Rahmen unseres Testrides durften wir nachvollziehen: Das Bike, eine Ableitung der viel gerühmten Africa Twin, bietet viel Hard- und Software fürs Geld.

Umfassend ab Werk ausgestattete, nützlich wie kommod erscheinende Reisebegleiter, die unter dem Motto laufen: „Aufsitzen und sofort lostouren“, haben bei Honda eine gewisse Tradition. Erinnert sei hier etwa an die Komfort-Königin Pan European oder den engagierten Mittelklässler Deauville. Nach etlichen weiteren Goodsellern in der Modellhistorie wie Varadero oder Crosstourer enthüllten die Japaner im vergangenen Herbst schließlich die NT1100 – gesegnet mit einer sattsam konfigurierten Grundausstattung und auf den Weg geschickt, eine möglichst breite Zielgruppe zu bezirzen. „Wir strebten nach einer Lösung, die bei Tourenfahrern Anklang findet, aber gleichzeitig auch Kunden jeden Alters und anderer Präferenzen anspricht, die ein modernes, vielseitiges Bike suchen“, ließ NT1100-Projektleiter Koji Kiyono bei der Präsentation wissen. Man wollte also nichts weniger als die allen gefallende Alleskönnerin, die berühmte „eierlegende Wollmilchsau“.

Ganz sicher Anklang finden bei straßenfixierten Reiseprofis wird das pralle Ab-Werk-Ausstattungspaket der NT. Angesichts einer üppig ausgeformten, dazu mehrfach höhen- sowie winkelverstellbaren Scheibe, dank Heizgriffen, Tempomat, Seitenkoffern, Gepäckträger und Hauptständer, dank eines dicken Elektronikpakets mit fünf Fahrmodi sowie einer weitreichenden Smartphone-Integration darf sich der NT-Interessent ausufernden Aufpreislisten-Studien getrost verweigern. Honda hat zwar noch ein paar Dinge wie Zusatzscheinwerfer, bessere Soziusfußrasten oder Komfortsitze für Fahrer und Beifahrer im Regal – das alles braucht es aber nicht wirklich.

„Automatik“ überzeugt
Ein Grundsatz-Urteil indes muss jeder potenzielle NT1100-Treiber vor der Order beim Händler unweigerlich fällen: Nämlich ob er das Bike mittels herkömmlicher Sechsgang-Schaltbox oder via automatisch geschaltetem Doppelkupplungsgetriebe managen möchte. Die Mehrheit wird – wie das bei anderen Modellreihen im Hause inzwischen guter Brauch ist – zur „Automatik“ greifen. Keine schlechte Wahl. In Jahr 13 seit seiner Modelleinführung präsentiert sich das DCT genannte System der Japaner als ausgereift, glänzt mit butterweichen Schaltvorgängen, findet nahezu ohne große Verzugsmomente stets den richtigen Zeitpunkt für den Gangwechsel und hält den getriebeseitig erzeugten Geräuschpegel angenehm niedrig. Unser klares Fazit hier: Die 1.000 Euro Aufpreis, die Honda für das DCT in Rechnung stellt, sind gut investiertes Geld.

Was das Fahrverhalten angeht, zeigt die NT1100 keine erkennbaren Schwächen. Ob mit oder ohne Sozius, ob aufgepackt oder nicht: Der Tourer verrichtet sein Werk stets gut ausbalanciert, offeriert ein sehr neutrales Fahrverhalten, den Geradeauslauf erlebten wir als solide, schnellen wie langsamen Richtungswechseln folgt das Bike gehorsam wie intuitiv. Sportliche oder tourengemäß moderate Gangart: Die NT1100 beherrscht beides.

Verantwortlich dafür ist das bestens austarierte, stabile Fahrwerk der NT1100, das – wie der Motor ebenfalls – in seinen Kernstrukturen der aktuellen Africa Twin entlehnt ist. Für sein Einsatzgebiet wurde der Straßentourer mittels einer 43-mm-Upside-Down-Telegabel von Showa verfeinert, die das Vorderrad feinfühlig wie souverän dirigiert. Das Hinterrad steckt in einer langen, der Fahrstabilität zuträglichen Aluschwinge, die sich über ein Showa-Zentralfederbein und mittels Pro-Link-Hebelei am Rahmen abstützt. Bereift ist die NT mit 17-Zöllern an Front und Heck, aufgezogen auf Aluminium-Gussräder mit hohlen Naben, vorne in 120-er, am Heck in 180-er Breite. Die Pneus selbst liefert Dunlop zu – in Gestalt des Modells „Sportmax GPR-300“, das charakterlich zum Bike passt und im Einsatz einen rundum guten Eindruck hinterließ. Mit viel Eigendämpfung unterstützt der „GPR“ den Komfort-Ansatz des Bikes, mit hohem Gripniveau und guter Stabilität zudem die sportliche Seite des Geräts – insgesamt eine runde Sache.

Souveräner Antrieb
Der Reihenzweizylinder mit 1.084 Kubikzentimetern Hubraum und acht Ventilen gibt sich in der NT als souveräner, charaktervoller Antreiber, der seine 75 kW (102 PS) Leistung gekonnt, heißt:, auf eine sehr benutzerfreundliche Art zu offerieren weiß. In niedrigen Drehzahlen geriert sich das Aggregat gänzlich unaufgeregt, beinahe zurückhaltend. Gibt man indes Futter und überschreitet die Schwelle von 2.500 Umdrehungen, liefert es beachtlichen Vortrieb. Und auch wenn Honda dem Zeitgeist huldigt und dem Parallel-Twin mittels 270-Grad-Kurbelwellenkröpfung und ungleichmäßigem Zündintervall eine gewisse Kernigkeit anzuerziehen gedachte: Vibrations- und Geräuschentwicklung halten sich wohltuend in Grenzen. Die Geräuschemission gibt der Hersteller bei konstanter Vorbeifahrt mit 73,6 dB an, bei Beschleunigung unter Vollgas sollen es mit DCT lediglich 79,4 dB sein – auch im realen Erleben sehr niedrige Werte in diesen lauten Zeiten. Mit der stetig kostbarer werdenden Ressource Brennstoff weiß der Motor ebenfalls sorgsam umzugehen. Wir fuhren die NT mit einem Durchschnittsverbrauch von 4,7 Litern. Angesichts des verbauten 20-Liter-Tanks ergibt sich damit eine recht auskömmliche Reichweite von über 400 Kilometern.

Ein Wort noch zum Elektronikpaket in der NT1100 und dessen Management. Hier wird zwar eindeutig sehr viel geboten: Fünf Fahrmodi, Traktions- und Wheeliekontrolle, selbst rückstellende Blinker, Tempomat, 6,5-Zoll-TFT-Touchscreen samt Smartphone-Integration via Bluetooth, außerdem „Apple Car Play“ respektive „Android Auto“. Handhabung und Benutzerführung allerdings gerieten kaum intuitiv. Zu lang, verschachtelt und unübersichtlich die Menüs, zu kompliziert die Ansteuerung entweder über Bildschirm oder Schalter an den Lenkerarmaturen. Hier darf man gerne noch einmal Hand anlegen und nachschärfen. Damit es dann auch wirklich heißen kann: Einfach draufsetzen und losfahren.

Unser Fazit:
Hondas Beitrag zur schönen, neuen Tourerwelt ist ein überaus solides, in seinen Kerntugenden glänzendes Motorrad geworden. Fahrdynamik, Reisetauglichkeit, Ökonomie – auf diesen Feldern weiß die NT1100 vollauf zu überzeugen. Den Grundpreis von 13.999 Euro (mit DCT 14.999 Euro) für das Paket erachten wir als stimmig.

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