Triumphs Mittelgewichtler Tiger 900 offenbarte sich als quicklebendiger Geselle und gesitteter Begleiter beim Ritt durch jede Geländeformation.
Triumphs Mittelgewichtler Tiger 900 offenbarte sich als quicklebendiger Geselle und gesitteter Begleiter beim Ritt durch jede Geländeformation. (© Triumph)
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Test Triumph Tiger 900 Rally Pro: Die Charakterdarstellerin
09.10.2020

Als Triumph unlängst seine 800er-Reiseenduro-Baureihe ins Auslaufjahr entließ und an ihrer Statt die Tiger 900-Familie ins Feld setzte, wurde klar: Hier gab’s eine Wachablösung, die ihren Namen auch verdiente. Kein Stein – respektive kein Schräubchen – nämlich war mehr auf dem anderen geblieben. Doch wie bestellt sie ihr Revier nun, die neue, in fünf Modellvarianten umherschnurrende Raubkatzen-Bande? Um das herauszufinden, nahmen wir auf der Version „Rally Pro“ Platz. Eine prägende Erfahrung.

Sie ragt hoch auf mit ihrem 21-Zöller an der Vorderhand und ihrer Ehrfurcht gebietenden, 240 Millimeter Hub offerierenden, in Funkelgold eloxierten 45-mm-Upside-Down-Forke aus dem Hause Showa. Kein Bike für allzu kurz geratene, furchtsame Zeitgenossen, könnte meinen, wer das weitere Heranfühlen nicht wagt. Wir aber sagen: Die imposante Silhouette trügt. Denn die Rally Pro kommt mit ihrer in zwei Positionen justierbaren Fahrerbank auf Sitzhöhen (850 und 870 Millimeter), die nicht ausschließlich Lulatschen taugen, sondern die man durchaus als Durchschnittsgrößen-verträglich einstufen kann. Dank einer überaus respektablen Trockenmasse von „nur“ gut 200 Kilo und einer aufs Feinste ausnivellierten Gewichtsverteilung ließ sich der Mittelklasse-Abenteurer im Stand, beim Rangieren, in jeglichem Fahrbetrieb formvollendet beherrschen und dirigieren. Ein wahrer Genuss!

Geschmeidiger Antreiber
Das 888-Kubikzentimeter-Triebwerk, das sein Volumen auf drei Zylinder in Reihe verteilt, 95 PS (70 kW) Leistung und 87 Nm Maximal-Drehmoment bereitstellt, gibt sich – was der dem Modell anerzogenen 1-3-2-Zündfolge geschuldet ist – lediglich im Klang kernig. Im Fahrbetrieb dagegen erlebten wir ein Aggregat, das seidenweich, angenehm unauffällig anzutreiben wusste, das schaltfaul und defensiv gefahren werden konnte, das lästiges Konstantfahrruckeln gänzlich ausblendet. Es wirkte zudem nie überfordert, wenn die Gashand locker wurde und Drehzahl bis an den Limiter einforderte. So geht geschmeidige Kraftentwicklung für jede Lebens- und Fahrlage.

Das Zusammenspiel dieses äußerst ausgewogenen und breitbandigen Antriebs, das im Übrigen bereits Euro 5 kann, harmoniert perfekt mit dem dargebotenen Fahrwerk. Agiles, punktgenaues Zirkeln auf engem Terrain, Highspeed-Bolzen auf der Autobahn, wildes Kurvenschlängeln in Berg- und Tal-Topografie – der Tiger macht’s klaglos. Wo nach unserer Auffassung bislang Honda mit der Africa Twin die Benchmark setzte, darf sich Triumph jetzt mit dem Titel „primus inter pares“, des „Ersten unter Gleichen“, schmücken – zumal Honda mit der jüngsten Hubraumaufstockung auf 1.100 Kubik ohnehin eher auf die Oberklasse zu schielen scheint.

Das Ausstattungs- und Verarbeitungsniveau, auf dem Triumphs Mittelklässler inzwischen fährt, ist indes famos: Die an der Vorderhand im Doppelpack agierenden Stylema-Monoblockbremsen von Brembo sind über jeden Zweifel erhaben und vermitteln mit tadelloser Dosierbarkeit und ihrem insgesamt sehr zupackenden, wachen Charakter ein erstklassiges Sicherheitsgefühl. Dank eines großen 20-Liter-Tanks und eines bei gezügelter Fahrweise moderaten Verbrauchs von deutlich unter fünf Litern ist eine tourenfreundliche Reichweite von klar über 400 Kilometern jederzeit drin. Das 7 Zoll große, kontrastreich und gestochen scharf anzeigende TFT-Instrumentenpanel geizt nicht mit Information. Um sich die schiere Datenfülle allerdings erschließen zu können, braucht es Entdeckerdrang und Geduld – und viel Übung mit den Bedieneinheiten in Gestalt eines Joysticks links und einer Hometaste rechts am Lenker.

Überhaupt ist – gerade bei der Rally Pro – alles an Bord, was des Technikfreaks Herz begehrt: Smartphone-Konnektivität, Kurven-ABS und Kurven-Traktionskontrolle inklusive Trägheitsmesseinheit, sechs Fahrmodi, LED-Licht rundum, ein Smartphone-Fach (ja: es bringt auch backsteinformatige Geräte unter) sowie je eine 12-V-Steckdose an der linken Fahrzeugseite und im Cockpit. Eine ausführlichere Erwähnung verdient der Schaltassistent, der bei der Rally Pro serienmäßig ist und ansonsten dazu bestellt werden kann: Triumph hat es hingekriegt, dass dieses Helferlein auch wirklich eines ist. Es agiert butterweich, ohne Hakeln, ohne Reißen oder Klemmen. Geschätzte Mitbewerber: Bitte mal genau hinschauen, wie Triumph das macht. So sollte es nämlich sein.

Unser Fazit:
Triumphs neue Tiger 900 muss weder Krallen ausfahren noch Reißzähne entblößen, um zu beweisen, dass sie zum charakterstarken Chef der Savanne taugt. Sie macht lieber auf supergeschmeidig, liefert reichlich Power, wenn es gerade angesagt ist, gibt sich mal agil, mal handzahm und gesittet, ist bestens beherrschbar, (beinahe zu) üppig ausgestattet, fährt technisch auf der Höhe der Zeit. Angesichts dieses hohen Niveaus, das Triumph erklommen hat, geht das Preisgefüge, das bei etwas mehr als 11.000 Euro für das Tiger 900-Basismodell beginnt und schnell bis an die 14.000, 15.000 oder gar 16.000 Euro für die Spitzenmodelle (Pro-Versionen) heranreicht, vollauf in Ordnung.

Technische Daten:
Dreizylinder-Reihenmotor, 888 cm³, 95,2 PS (70 kW) und 87 Nm, 6-Gang-Getriebe mit Schaltassistent, Stahl-Gitterrohrrahmen mit angeschraubtem Rahmenheck, Aluminiumguss-Zweiarmschwinge, 45-mm-Upside-Down-Gabel mit 240 mm Federweg, Zentralfederbein mit 230 mm Federweg, vorne Brembo Stylema Vierkolben-Monoblock-Bremssättel, schwimmend gelagerte 320 mm Doppel-Bremsscheiben, radialer Bremszylinder, Kurven-ABS, hinten Brembo Einkolben-Schwimmsattel mit 255 mm Bremsscheibe, Kurven-ABS, Reifengrößen 90/90-21 (vorne), 150/70 R 17 (hinten), Trockengewicht 201 kg, Tankvolumen 20 l, Testverbrauch 4,7 l/100 km.

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