Mit 900 neu zugelassenen Einheiten reihte sich die F 900 XR zuletzt (Stand: Ende Juli) auf Platz 26 in der bundesdeutschen Zulassungs-Hitliste ein.
Mit 900 neu zugelassenen Einheiten reihte sich die F 900 XR zuletzt (Stand: Ende Juli) auf Platz 26 in der bundesdeutschen Zulassungs-Hitliste ein. (© BMW)
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Test BMW F 900 XR: Mehr Räuber als Reisender
31.08.2020

Mit der F 900 XR tritt BMW an, die in der Oberklasse schwer erarbeitete Sporttourer-Kompetenz auch in der immer populärer werdenden Mittelklasse unter Beweis zu stellen. Wir versuchten nachzuvollziehen, ob das gelang, ob dem putzmunteren, quirligen Bike, das sich uns gegenüber als echter Landstraßenräuber auswies, auch der ungleich seriösere Reise-Anzug passte.

Bereits im Frühjahr 2018 hatte BMW auf dem Concorso d’Eleganza Villa d’Este am Comer See, einer Art „Next Topmodel“-Event für allerlei Luxusgeschöpfe auf zwei und vier Rädern, einen Ausblick darauf gegeben, wie man sich in München künftige Crossover-Modelle vorstellte. Knapp anderthalb Jahre später und 50 Kilometer weiter südlich, auf der EICMA 2019 in Mailand, dann zogen die Münchner den Schleier von der Serienversion jenes Motorrads, auf das die seinerzeit enthüllte Fingerübung der Designer namens „Concept 9cento“ abgestellt hatte: Einen ranken, schlanken, sportlichen Tourer, der mit nur knapp unter 900 Kubikzentimetern Hubraum, Ketten-Sekundärtrieb und Reihen-Zweizylinder die in der Mittelklasse startende F-Reihe krönen sollte: Die F 900 XR.

Die „kleine“ XR soll – so malte man sich das in München aus – wie ihre zeitgleich vorgestellte größere Schwester, die in zweiter Generation frisch aufgelegte, vierzylindrige S 1000 XR, jenen Spagat bewältigen, den sich das seit geraumer Zeit vielstimmig von Herstellerseite bespielte, sogenannte Crossover-Segment als Kerntugend auf die Fahne geschrieben hat: Einerseits komfortabler, kraftvoll-gütiger Reisepartner mit Langstrecken-Manieren zu sein, andererseits aber auch den agilen Ritt über die Hausstrecke oder den supersportlichen Ausflug auf die Rennstrecke nicht zu vermasseln. Eines aber, das darf an dieser Stelle durchaus verraten werden, kann und mag die F 900 XR – auch wenn mancher das aus dem Begriff „Crossover“ gerne abzuleiten geneigt ist – überhaupt nicht: Den Ausflug ins Gelände. Hierfür sind Fahrwerk, Ergonomie und vor allem die Reifen schlicht nicht ausgelegt. Sollen sie auch gar nicht sein. Denn eines will man in München partout vermeiden: In jenen Gefilden zu wildern, in denen andere Produkte des Hauses seit langem Ton und Richtung vorgeben – und dazu zählt nicht zuletzt das On-/Offroad- oder Adventure-Segment mit den überaus populären GS-Modellreihen.

Landstraßen-Feger
Rhythmische Sportgymnastik auf der Landstraße – das kann die XR zweifellos. Die Fahrerhaltung wirkt, gerade wenn man sich für eine etwas höhere Sitzbank (aus den zahlreich verfügbaren Gestühl-Varianten) entscheidet, in Ansätzen wie auf einem Supermoto-Racer: Vorderrad-orientiert. Unterstützt vom breiten Lenker und einer äußerst agilen Serienbereifung (Überraschung: Michelin Road 5 GT!) lässt sich die XR damit sehr flink und leichtfüßig von einem in den – gerne gegenläufigen – nächsten Kurvenradius schwingen. Die von uns verwendete Sitzbank allerdings ließ längere Strecken ab 200 Kilometern zur Tortur werden. Das Gestühl offerierte zwar ordentlich Bewegungsfreiheit im Sattel, war auf Dauer aber schlicht zu hart am Steiß. Ernsthaften XR-Interessenten sei demnach angeraten, ihre Proberitte entsprechend zu dimensionieren, um einordnen zu können, wie es um die eigene Leidensfähigkeit wirklich bestellt ist.

Der Motor der „kleinen“ XR – eine Weiterentwicklung des 2018 mit der F 850 GS eingeführten Zweizylinder-Reihenmotors aus chinesischer Loncin-Produktion – entwickelt ab 2.000 Kurbelwellen-Rotationen ordentlich Punch, gibt sein maximales Drehmoment von 92 Nm bei 6.500 Umdrehungen ab und erreicht seine höchste Leistung (77 kW/105 PS) bei 8.500 U/min. Wer sich mit der Gashand, assistiert vom erstklassig zu schaltenden Sechsganggetriebe, in diesem Drehzahlkorridor zu bewegen weiß, erntet für jede Topographie und jeden Beladungszustand ausreichend Power. Das mit langen Arbeitswegen (vorne 170 mm, hinten 172 mm) ausgestattete Fahrwerk ist sowohl für zu transportierende Zusatzmasse als auch für Straßenunebenheiten jedweder Art gerüstet. Die Geräuschkulisse des Bikes, verantwortet von einer gleichermaßen voluminösen wie gut ins Bike integrierten Unterflurschalldämpfer-Einheit, offenbart sich solange als Anrainer-verträglich, wie man sich beim Ausreizen des Drehzahlbandes zu zügeln weiß. Ab gut 9.000 Touren entwickelt der mit 270/450 Grad Zündabstand arbeitende Reihenzweizylinder allerdings ein hochfrequentes, die Umgebungsatmosphäre potenziell durchaus forderndes Heulen. Im Jargon der Marketing-Abteilung der Weißblauen ist das dann ein „besonders emotionales Klangbild“. Na ja.

Opulente Gadget- und Aufpreisliste
In jedem Fall profitiert die neue F 900 XR vom hausintern gerne gelebten Technologietransfer, in diesem Falle aus der Oberklasse: Bei der Mittelklässlerin kann man sich die Gadgets der Großen in wahrer Opulenz dazu bestellen – sofern es das Budget hergibt: Adaptives Kurvenlicht, Keyless Ride, intelligenten Notruf, eine elektronische Regelung der Federbeindämpfung am Heck, zusätzliche Fahrmodi, einen (nicht immer flüssig unterstützenden) Schaltassistenten, eine dynamische Traktionskontrolle, kurvenoptimiertes ABS oder eine Motor-Schleppmoment-Regelung, die ein durch abruptes Gaswegnehmen oder Zurückschalten verursachtes Rutschen des Hinterrades verhindern soll. Und, und, und, möchte man sagen. Im Grundpreis (rund 11.200 Euro inkl. 16 Prozent Corona-Mehrwertsteuer, zzgl. Fracht) enthalten ist in jedem Falle die bestens ins Fahrzeug integrierte und – in Sachen Anzeigequalität und Steuerung – über jeden Zweifel erhabene, vollfarbige TFT-Instrumentenkombi mit Smartphone-Anbindung. Via BMW Connected App lässt sich darüber auch eine leidlich gut funktionierende Navigation bewerkstelligen.

Unser Fazit:
Sportlich orientierte Fahrer sitzen zweifellos im richtigen Sattel, wenn sie die F 900 XR zum Zweirad ihrer Wahl erheben. Motorleistung, Fahrwerk, Ergonomie und Bereifung bilden ein stimmiges Paket, solange der forcierte Ritt über die Landstraße im Mittelpunkt des Interesses steht. Was schließlich die Langstreckentauglichkeit angeht: Da geben die GS-Modelle – weil unserer Ansicht nach plausibler abgestimmt und ausgestattet – sicherlich die besseren Reisepartner ab.

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