Kumpan „54i:gnite“: Vmax-Krösus auf der kurzen Distanz
11.06.2022
Das Spitzenmodell von Kumpan ist schnell, schön, teuer. Das richtige Einsatzspektrum für den High-Speed-E-Roller muss man sich im wahrsten Sinne erfahren. Überbordend weit aber geht es nicht.
Eine mutige Ansage: Die Remagener Elektroschmiede Kumpan Electric bezeichnet ihr derzeit stärkstes und schnellstes Pferdchen im Stall, den Kumpan „54i:gnite“, als „Geschwindigkeitsgenie“ und „Langstreckenpendler“. An ersteres durften wir nach unserem Test des Geräts getrost einen Haken machen: Auf der Geraden, bei keinem nennenswerten Gegenwind und ohne uns hinter dem Lenker klein machen zu müssen, bekamen wir die Tachoanzeige des adrett gezeichneten Neo-Klassikers auf exakt 112 km/h – unsere persönliche Vmax bisher bei einem Elektroroller. Einen solchen Speed gewährt der „ignite“ allerdings nur bei voller Beladung mit drei Akkus (zwei sind serienmäßig an Bord, der dritte muss zugekauft werden) – und, ja, auch nur für einen sehr überschaubaren Zeitraum.
Damit wären wir also zwangsläufig beim Thema Reichweite. Vorweg: Das mit dem „ignite“ als Langstreckenpendler, das ist so eine Sache – zumindest wenn man mit dem Anspruch ins E-Abenteuer startet, die zu pendelnde Strecke außerhalb der City und unter möglichst häufiger Ausnutzung der 100 km/h zu bewältigen.
Damit also zu unserem Testszenario: Bei voller Ladung der drei modernen Lithium-Ionen-Akkus, die bei Kumpan „Kraftpaket 2.0“ heißen, auf 51 Volt Betriebsspannung laufen und nominal jeweils 28,5 Ah fassen, versprach uns das System via Display eine errechnete Reichweite von gut 80 Kilometern. Man sollte meinen: Mehr als genug für unsere ins Auge gefasste, topografisch nicht anspruchslose, weil mitunter hügelige Pendelstrecke über Land von 24 Kilometern. Entsprechend optimistisch legten wir los, zogen von Beginn an kräftigst am Hahn – weil’s eben ganz viel Spaß bereitet, solches Treiben. Und was wir angesichts des wilden „Kabelns“ bereits leise befürchtet hatten, wurde flugs wahr: Die Restdistanz schmolz wie der sprichwörtliche Schnee in der Sonne.
Nach gut zwölf zurückgelegten Kilometern – der Hälfte der zurückgelegten Pendeldistanz – im Speed- und Sportmodus waren von den anfangs 80 Kilometern Restreichweite plötzlich nur noch knapp 40 übrig, 50 Prozent der Energie also aufgebraucht. Und weil wir mit dem „Gasgeben“ wohl auch die Akkus ordentlich strapaziert und auf Temperatur gebracht hatten, bereitete der Controller dem Treiben ein jähes Ende und gewährte für die verbleibende Restpendelstrecke von zwölf Kilometern nur noch eine Vmax von um die 70 km/h – egal wie wild man auch am Griff drehte. Da dies aber ausgerechnet auf einer extrem frequentierten Bundesstraße geschah, die noch dazu stets von Lkws geflutet ist, geriet das Ganze schnell zum echten Spiel mit der Gefahr. Man weiß: Der geneigte Brummifahrer ist heute auf der Landstraße längst nicht mehr mit jenen 60 km/h unterwegs, wie sie die StVZO vorsieht, sondern tendiert klar gen 80 km/h, wie es der freundlich-fordernde Disponent im Headquarter goutiert. Und da ist ein 70 km/h-Roller nichts anderes als eine wahlweise mit gefährlichen Überholmanövern oder Hupkonzerten zu traktierende Schikane. Eine Grenzerfahrung, die jeder 25- oder 45 km/h-Zweiradler zur Genüge kennt. Als wir auf diese Weise die letzten zwölf Kilometer bis zum Pendelziel unfallfrei hinter uns gebracht hatten, stellten wir den Kumpan mit einer verbleibenden Reichweite von 20 Kilometern ab.
Nochmals zusammengefasst: Mit 80 Kilometern Reichweite losgefahren, die Hälfte davon auf 24 Kilometern Strecke aufgezehrt, auf der halben Distanz ganz viel Spaß gehabt, den Rest des Weges halbwegs ordentlich, aber mit hoher Anspannung bewältigt.
Gemach, wilder Reiter!
Für das Zurückpendeln am nächsten Morgen kamen wir einer realistischen Einsatzstrategie des Kumpan deutlich näher: Das allzu wilde „Angasen“ unterließen wir, hielten damit auch die Akkutemperatur im grünen Bereich, und gingen das Thema Höchstgeschwindigkeit sehr dosiert und mit maximal 80 km/h an. Und siehe da: Von den 80 Kilometern Ausgangsreichweite waren nach 24 Kilometern Fahrstrecke noch gut 42 übrig. Wer bei seiner Pendelei also nicht auf die Autobahn, mehrspurige Zubringer oder andere Highspeed-Trassen und dort mit der Richtgeschwindigkeit ringen muss, wer sich mit um die 80 km/h im Peak und einer Dauerspeed von um die 70 km/h zufrieden geben kann, der darf Pendelstrecken von realistischen 50 bis 70 Kilometer getrost ins Kalkül ziehen. Reichweiten über 80 Kilometer oder gar 100 Kilometer hingegen, wie sie die Kumpan-Werbung verspricht, müssen theoretische Werte bleiben und lassen sich allenfalls im astreinen, allerdings deutlich spaßbefreiten Moped-Modus erreichen.
Optisch und ergonomisch vermag der Kumpan „ignite“ zu überzeugen: Die Sitzbank-Lenker-Konfiguration zwingt den Fahrer in eine aufrechte Sitzposition, ausreichend Kniefreiheit ist auch für größer gewachsene Menschen geboten. Bei der Beplankung des Fußraums mit zwar schönen, aber sehr glatten Leisten täte ein wenig Gummibeschichtung wahre Wunder. Die Abstimmung des konservativ auftretenden Fahrwerks (vorne Telegabel, hinten Stereo-Dämpfer) geriet knochig straff, so dass man auf schlecht austariertem Untergrund deutlich Tempo rausnehmen muss, damit die 12-Zoll-Rädchen nicht davonspringen. Die famosen Heidenau-Reifen aber vom Typ „K 80 SR“, die Kumpan in der Erstausstattung verbaut, machen vieles wieder wett, liefern besten Grip vor allem dort, wo’s drauf ankommt: Beim Bremsen und Kurvenziehen mit dem lediglich 112 Kilo auf die Waage bringenden Roller.
Starker Antrieb
Gut gefallen hat uns der wartungsarme, bürstenlose, 7.000 Watt Dauerleistung abgebende Motor des „ignite“, der in der Hinterradnabe sitzt und somit seine Kraft direkt auf das Heckrad überträgt. Er lässt sich über vier vorkonfigurierte Fahrmodi (Rain, Sport, Eco, Comfort) bewirtschaften. Das Zusammenspiel von Gashand und Motor regelt die Software famos: Es geht vom Start weg überaus sanft los, während im letzten Drittel die ganze Pracht der 141 Nm Drehmoment zur Entfaltung kommen. Ein Alleinstellungsmerkmal des Kumpan ist ein 7 Zoll messendes Touchdisplay, das im Zusammenspiel mit dem Betriebssystem eine intuitive und souveräne Bedienung des Geräts ermöglicht. Lediglich einen Ticken heller dürfte die Anzeige sein.
Ansonsten liefert der Kumpan Kumpan „54i:gnite“ viel Elektroroller-Neuzeit und reichlich Ausstattung: Tempomat, Rekuperation, LED-Licht an allen Leuchtkörpern, USB-Anschluss und schlüssellose Bedienung. Letztere lässt sich über die „Kumpan Key App” sogar so ausgestalten, dass man einem definierten Personenkreis via Handy Zugang zum Roller beschert. Wer den „ignite“ legal fahren möchte, braucht im Übrigen die Schlüsselzahl „196“ im B-Führerschein respektive eine A1-Lizenz.
Ein Wort noch zum Preis: Mit drei Akkus, einer Karosserie in Lava Grau, Sitzbank und Beinraum in „Aurora Rot“ und Sportreifen, wie wir sie fuhren, kommt der Roller laut Kumpan-Konfigurator auf 8.925 Euro (inkl. MwSt. zzgl. Versandkosten) – kein billiges Vergnügen also, die Kumpanei.