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KTM 790 Duke: Motorrad gewordener Spannungsbogen
24.08.2018

Die Erstausgabe des neuen KTM-Reihentwins im Naked Bike 790 Duke gerät super- bis übersportlich. Das Aggregat offenbart im Test sein zweifellos riesiges Potenzial.

Ohne jeden Zweifel: Der neu entwickelte Reihenzweizylinder, den KTM dieses Jahr in der 790 Duke debütieren ließ, ist eine Wucht. Der superkompakte, extrem schmal bauende, leichte 800er hat Wumms ohne Ende, hängt gierig am Gas, sucht nervös jede sich bietende Gelegenheit zur Drehzahl-Ekstase, nutzt beherzt jede Möglichkeit zur Eskalation des Ausritts.

Spitz auf Knopf
Allerdings: Mit diesem heftig pochenden Sportlerherz, mit ihrer scharfen, auf Höchstleistungsabgabe ausgelegten Motorcharakteristik ist die Duke 790 alles andere als ein Motorrad für Fahranfänger. Ihre Grundabstimmung geriet derart kantig-aggressiv, ihre Bedienung erfordert eine solch feinfühlige, erfahrene Gas- und Kupplungshand, dass Ungeübte geneigt sind, vorzeitig das Handtuch zu werfen. Nicht bei der motivierten Kurvenhatz, nein: Dafür ist sie ja gemacht. Beim Versuch aber, das Bike zwischen diesen Vollgas- und Power-Phasen manierlich zu bewegen, etwa wenn es im Bummeltempo durch enge Innenstadtpassagen geht, wenn es gilt, das Rennpferd im Straßendress im nervenaufreibenden Stop-and-Go-Verkehr im Zaum zu halten, wenn Cruisen in der Gruppe ansteht, verliert Anfänger schnell die Lust.

Die Duke braucht vor allem eins: Viel Gas – am liebsten konstant mehr als ein Drittel Umdrehung am Griff. Ansonsten quittiert die mit 169 Kilo Trockengewicht gertenschlanke, sehnige Mittelklässlerin jeden Versuch der Unterdosierung gnadenlos mit mehr oder minder brutalem Fahrruckeln. Unter 3.000 Umdrehungen gibt sich der Motor betont unwillig. Jeder Neigung zum Untertouren scheint das Triebwerk entgegenzuschreien: Gib mir Drehzahl, dann geb ich Dir Performance!

Sprinterseele
Die vortrefflich verarbeitete Duke 790 ist dank dieser Motorcharakteristik ein klarer Gegenentwurf zur Tourenmaschine fürs gepflegte Dahingleiten, fürs feinsinnige Kurven-Inhalieren; sie ist ein Sprinter par excellence, ein Motorrad gewordener Spannungsbogen. Oder eben ein „Scalpel“, wie es das KTM-Marketing treffend formulierte, eines, das jede Distanz mit klarem, schnellen Schnitt durcheilen und nicht gechillt von der Eisdiele zum Schwimmbad und dann wieder nach Hause cruisen möchte. All das wirkt sich auf den Verbrauch aus, der sich in unserem Test bei deutlich über fünf Litern einpendelte, aber auch schon mal auf über 6 Liter anschwoll.

Die Geräuschentwicklung der Duke wird – trotz aktuellster Normen-Konformität – dem sportlichen Auftritt mehr als gerecht. Das Auspuffsystem wartet über das gesamte Drehzahlband hinweg mit einem kernig-knurrigen Sound auf, jeder Gasstoß wird von einer kräftigen Bass-Ouvertüre untermalt, jede Beschleunigungs-Orgie mit vielstimmigen Sonaten in Blech-Dur umspült. Das Sechsgang-Getriebe der Duke zeigt sich bestens gestuft und abgestimmt, lässt sich butterweich schalten und wird vom serienmäßig verbauten, hervorragend arbeitenden Schaltassistenten nochmals ordentlich befeuert – erste Sahne! Auch die mit radial montierten Vierkolben-Sätteln ausgestatteten und von Kurven-ABS unterstützten Stopper werden ihrer Aufgabe mehr als gerecht.

Sportliches Setup
Die Abstimmung des von WP-Komponenten geprägten Fahrwerks tendiert klar gen knackig-sportlich, die Traktionskontrolle agiert unauffällig und bringt für besonders beherzte Piloten einen Track-Modus mit oder ist gar komplett deaktivierbar. Die in der Erstauslieferung verbauten Maxxis-Pneus funktionieren nach ein paar Aufwärmkilometern gut, könnten aber gerade an der Vorderhand noch etwas mehr Eigendämpfung vertragen.

Die verstellbaren Hebeleien der Duke machen einen hochwertigen Eindruck und sind bestens bedienbar. Die Sitzergonomie passt auch für größere Fahrer, der ideale Duke-Pilot sollte aber die 175 Zentimeter nicht überschreiten. Ein sparsam gepolsterter, breiter Sattel bereitet auch bei längeren Stints keine übermäßigen Qualen.

Das TFT-Display der 790, das gerne einen Ticken größer sein dürfte, macht seine Sache ansonsten hervorragend. Die automatische Hell-/Dunkel-Umschaltung funktioniert feinfühlig, das Menü ist übersichtlich, die Informationsfülle mehr als ausreichend.

Unser Fazit:
Die Duke 790 glänzt als leichte, puristische Fahrmaschine, die konsequent auf ihren Zweck reduziert ist und nirgends überflüssige Pfunde in Form von modischem Zierrat trägt; zusammen mit dem kräftigen Motor sorgt das für atemberaubende Fahrleistungen, denen aber der komplett fehlende Windschutz schnell wieder ein Ende bereitet; eine Überarbeitung mit besserer Feinabstimmung des Motors bei niedrigen Drehzahlen dürfte den potenziellen Kundenkreis mächtig vergrößern. In der jetzigen Konfiguration ist die Duke 790 eher etwas für Fortgeschrittene und Unerschrockene im Motorradsattel, die sich KTM mit einem Listen-Einstand nur knapp unter 10.000 Euro zudem ordentlich bezahlen lässt.

Technische Daten

  • Zweizylinder-Viertakt-Reihenmotor mit 799 cm³, 77 kW (105 PS)
  • Sechsganggetriebe mit Antihopping-Kupplung
  • Stahlrahmen mit tragendem Motor
  • Upside-Down-Gabel vorne, direkt angelenktes Zentralfederbein hinten
  • Doppelscheibenbremse vorne mit zwei 4-Kolben-Radialfestsätteln, Bremsscheibe hinten mit Einkolben-Schwimmsattel, Bosch-Zweikanal-ABS (9MP)
  • Sitzhöhe 825 mm
  • Tankinhalt ca. 14 l, Verbrauch ca. 5,3 l
  • Trockengewicht 169 kg
  • Preis: ab 9.790 Euro.

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